Ukraine-Krieg
Ein Dank aus Bilgoraj

Angesichts der großen Hilfsbereitschaft der Crailsheimer Bevölkerung und der Eindrücke des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine hat sich Janusz Rosłan, Bürgermeister der polnischen Partnerstadt Bilgoraj, mit einem Brief an die Bürgerinnen und Bürger gewandt.
Liebe Freunde,
Fast jede polnische Familie erfuhr im Zusammenhang mit der Tragödie des letzten Weltkrieges viel Schmerz, viele Leiden und Unrecht. Beinahe jede Familie hatte den Verlust eines Familienangehörigen zu beklagen. Viele Personen, die in Konzentrationslagern eingeliefert wurden, ertrugen vor ihrem Tod qualvolle Leiden und Erniedrigungen. Die jenen, die den Albtraum des Krieges überlebten, begleiteten die schlimmen und traumatisierenden Kriegsereignisse lebenslang, sodass viele ihres Lebens nicht mehr wirklich froh waren.
Das Überwinden der Vorurteile, und sogar des begründbaren Hasses kostete die Polen und die Deutschen sehr viel Kraft. Der im Jahr 1965 vom polnischen Episkopat an die deutschen Bischöfe – und somit an alle Deutschen - adressierte Brief war ein erster und wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Darin schrieben die polnischen Bischöfe folgende Worte: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Diese bekannten Vergebungsworte beinhalten all das von den Polen im Krieg und all das von den Deutschen durch die Vertreibung erlittene Unrecht. Diese berühmten Worte leiteten den Vergebungsprozess auf beiden Seiten ein.
In den danach folgenden Jahren wurde viel unternommen, um die Polen und die Deutschen näher zueinander zu bringen. Dazu haben vor allem viele Partnerschaftsverträge, der Jugendaustausch und viele Begegnungen zwischen den Bürgern beider Länder beigetragen. Heute ist das Verhältnis zwischen den Polen und den Deutschen so gut wie nie zuvor in der Geschichte beider Länder.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Christoph,
Lieber Manfred, der Du der Patron unserer Freundschaft bist,
Liebe Einwohner der schönen Stadt Crailsheim,
ich erinnere an die Kriegsereignisse und die Nachkriegszeit, weil diese einen sehr bedeutenden Einfluss auf die Beziehungen der Nachkriegsgenerationen gehabt haben – auch auf die Beziehungen zwischen den Bürgern von Crailsheim und Biłgoraj.
Wir leben frei von dem Kriegstrauma der Generation unserer Eltern und Großeltern. Allerdings ist uns bewusst, wieviel Böses und Unglück ein Krieg mit sich bringt.
Das ist der Grund für unseren stetigen Einsatz für den Weiterausbau unserer Freundschaft. Wir können darauf stolz sein, dass wir einer großen europäischen Familie angehören. Zu den Werten, die uns über alles wichtig sind, zählen wir Frieden, die allgemeingültigen humanistischen Werte, Toleranz, Respekt vor Mitmenschen und ihrem Recht auf selbstbestimmtes Leben.
Am 24. Februar 2022 mussten wir leider erfahren, dass die Werte, die uns so wichtig sind, nicht von allen Staaten gleichermaßen geschätzt werden. Ein Land, das im II Weltkrieg die größten Verluste erlitt, hat es leider nicht geschafft, sich von seinen vergangenen Großmachtträumen zu lösen. Das mündete in einer militärischen Aggression gegen die Ukraine.
Ein Krieg zeugt nicht von Macht. Ein Krieg ist die Erscheinung des moralischen Verfalls der jenen, die sich für die Anwendung von Gewalt gegen unschuldige Menschen entscheiden. Es ist eine Schande, Gewalt gegen wehrlose Frauen und Kinder anzuwenden. All das, was wir in Europa lediglich aus Geschichtsbüchern gekannt haben, passiert nun vor unseren Augen in der Ukraine. Wir müssen zusehen, wie unschuldige Menschen ums Leben kommen auch durch neue todbringende Waffensysteme.
Ich muss auch erwähnen, dass auch wir in Polen, insbesondere der Osten unseres Landes, uns über die Zukunft große Sorgen machen. Die russischen Raketen schlugen nur unweit der polnischen Grenze ein.
Alle Zeichen Eurer Freundschaft, die Ihr durch Eure Hilfsbereitschaft und Eure Spenden für die Ukraine so großherzig zeigt, sind auch ein Zeichen der Solidarität mit Polen.
Im Namen der Stadtverwaltung von Nowowołyńsk – unserer Partnerstadt in der Ukraine – möchte ich der Stadt Crailsheim und all ihren Bewohnern danken. Ihr habt nicht auf Bitten und Aufrufe gewartet. Ihr habt sofort begonnen, den Ukrainern zu helfen. Auf das speziell für die Ukraine-Hilfe bei der Stadt Biłgoraj eingerichtete Bankkonto sind inzwischen Spenden von der Stadtverwaltung Crailsheim, von Vereinen und Bürgern der Stadt Crailsheim eingegangen.
Wir sind ständig in Kontakt mit der Stadtverwaltung von Nowowołyńsk und entscheiden gemeinsam wofür die Spenden verwendet werden. Was dringend benötigt wird, das wissen die Leute vor Ort am besten.
Ich habe erfahren, dass auch bei dem Benefizkonzert der uns bekannten und wunderbaren Stadtkapelle Crailsheim Spenden für die Ukraine-Hilfen gesammelt werden. Ich garantiere Ihnen, dass jeder Euro der Ukraine-Hilfe zugutekommt und damit vielen bedürftigen Ukrainern geholfen wird.
Im Geiste und im Herzen bin ich heute bei Euch. Für Eure Solidarität mit Ukraine und Polen danke ich Euch herzlich. Ihnen, Herr Oberbürgermeister, danke ich für Ihren herzlichen und aufbauenden Brief.
Meinen Brief möchte ich mit den Worten des 44-jährigen Präsidenten der Ukraine - Wolodymyr Selenskyj – beenden. Als er von einem Journalisten gefragt wurde, wie sich sein Leben nach dem 24. Februar verändert habe, sagte er, dass er trotz allem glücklich ist. Er ist glücklich, weil er sich wie nie zuvor für andere Menschen einsetzten kann.
Herzliche Grüße!
Janusz Rosłan