Verkehrsdiskussion

Ein Versuch zur Belebung der Innenstadt

Im Versuch soll die Karlstraße ab dem Karlsplatz gesperrt werden. In einer Illustration hat die Verwaltung aufgezeigt, wie eine mögliche Fußgängerzone aussehen könnte, sollte der Versuch erfolgreich verlaufen.

Diesen Donnerstag wird der Gemeinderat nach Vorberatung im Bau- und Sozialausschuss darüber entscheiden, ob im Rahmen eines Verkehrsversuches Teile der Karl- und Wilhelmstraße im kommenden Jahr für einige Monate gesperrt werden sollen. In dieser Zeit soll die Strecke in eine temporäre Fußgängerzone verwandelt werden, die mit zahlreichen Elementen zu einer Steigerung der Aufenthaltsqualität führen soll. Das Projekt soll dabei laufend evaluiert werden, um die Ergebnisse später objektiv auswerten zu können.

11.200 Fahrzeuge befahren die Karlstraße jeden Tag. Wie ein heißes Messer durch die Butter teilt die B290 das Zentrum Crailsheims. Statt zu  verbinden, trennt die vielbefahrene Straße demnach eher die Innenstadt. Dass damit eine Bundesstraße zeitgleich auch durch die Haupteinkaufspassage eines Mittelzentrums führt, ist fast in ganz Deutschland einmalig. Und für die Stadtverwaltung unter anderem ein Grund, wieso der hiesige Einzelhandel, abgesehen von der Konkurrenzsituation mit dem Internet, immer mehr unter Druck gerät.

Lange und intensive Vorbereitungszeit
Die Verwaltung hat sich daher das Ziel gesetzt, in den kommenden Jahren die Attraktivität der Innenstadt zu steigern. Im Mai 2021 stellte Sozial- & Baubürgermeister Jörg Steuler erstmals die Pläne einer Verkehrsberuhigung der Karl- und Wilhelmstraße vor. Im Herbst folgte ein Bürgerforum, bei dem Interessierte sich über die Pläne austauschten und eigene Ideen entwickelten. Und auch der Gemeinderat blieb nicht untätig und kam im Juli 2022 zu einer Klausursitzung zusammen, bei der sich drei von vier Arbeitsgruppen für einen Verkehrsversuch aussprachen.

Aktuell teilen sich Fahrradfahrer, Autos und Busse die Straße. Der Verkehrsfluss wird durch die Drückerampeln zudem unterbrochen. Die Innenstadt wirkt durch den vielen Verkehr wenig einladend.

Entscheidung im Gemeinderat
Und genau dieser soll nun am Donnerstag offiziell beschlossen werden. Geplant ist, die Karlstraße ab dem Karlsplatz bis zur Wilhelmstraße an der Einmündung Grabenstraße für den fließenden Verkehr zu sperren – und das im kommenden Jahr zeitlich befristet von den Oster- bis zu den Sommerferien. Die Strecke soll dabei in eine temporäre Fußgängerzone umgewandelt werden.

Frage nach der Henne und dem Ei
Ist die mangelnde Innenstadtattraktivität auf die durchwachsene Qualität im Einzelhandel zurückzuführen – oder fehlt es an ansprechendem Einzelhandel aufgrund der derzeitigen Innenstadtsituation? Diese Frage, wie bei der Henne und dem Ei, wurde sowohl im Bürgerforum wie auch bei der Klausursitzung mehrfach gestellt. Die Verwaltung hat sich dieser angenommen, indem sie probiert, an den Stellschrauben zu drehen, auf die sie Einfluss hat.
So merkten Kritiker des Verkehrsversuches an, dass die Stadtverwaltung zunächst für vernünftige Rahmenbedingungen, wie beispielsweise attraktive Verkaufsflächen sorgen sollte, ehe etwas versucht werde. Andernfalls würde sich die schwierige Situation für den Einzelhandel noch mehr verschärfen. Doch hier sind der Stadt die Hände gebunden, solange sie nicht Besitzerin der Gebäude ist. „Wir können Anreize im Rahmen der städtebaulichen Entwicklung setzen, was wir auch machen. Und wir können aktiv das Gespräch mit den Immobilienbesitzern suchen, was wir ebenfalls bereits tun. Aber wir können niemandem vorschreiben, dass er seine Häuser sanieren soll, damit sie attraktiver für den Handel werden“, stellt Jörg Steuler klar.

Nicht nur Blumenkübel
Gleichwohl ist der Stadtverwaltung auch bewusst, dass es bei der Sperrung der Karl- und Wilhelmstraße nicht nur mit dem Aufstellen von ein paar Blumenkübel getan ist. „Es wurde von uns auch nie behauptet, dass wir lediglich dies vorhaben. Tatsächlich ist geplant, gemeinsam mit dem Verein Stadtmarketing sowie unserem Ressort Kultur & Soziales im Rahmen des Verkehrsversuches ein abwechslungsreiches Veranstaltungsprogramm umzusetzen, was die Menschen in die Straßen lockt“, gibt Steuler einen Ausblick. Zudem werde intensiv in der Verwaltung daran gearbeitet, eine Grüngestaltung mit mobilen Bäumen sowie Sitzmöglichkeiten zu entwickeln, die einen Ausblick darauf geben sollen, wie die Straßen als Fußgängerzone irgendwann einmal aussehen könnten.

Von der Sperrung wäre nur ein kleiner Teil betroffen. Die Zufahrten über die Schönebürgstraße bzw. die Jagstbrücke könnten beim Versuch zu Tempo 20-Zonen umgewandelt, die Ampelanlagen müssten entsprechend angepasst werden.

Wegfallende Parkplätze fallen nicht ins Gewicht
Ein weiteres Argument, was Steuler in Gesprächen immer zu hören bekommt, ist die Zahl der wegfallenden Parkplätze. „Bei unserem Verkehrsversuch fallen insgesamt sieben Parkplätze weg. Doch mit dem ZOB, Parkhaus Grabenstraße sowie der Tiefgarage Schweinemarktplatz bleiben weiterhin genug Abstellmöglichkeiten, die in weit weniger als fünf Minuten zu jedem Ziel in die Innenstadt führen“, stellt Jörg Steuler fest.

Analytische Betrachtung der Ergebnisse
Es bringt der beste Versuch nichts, wenn es an der passenden Auswertung mangelt. Diesem Umstand ist sich auch die Stadtverwaltung bewusst. So sollen sowohl die Verkehrsströme als auch die Fußgängerfrequenzen später beurteilt werden. Auf der Umgehungsstrecke soll zudem im geplanten Zeitraum die Ampelsteuerung angepasst werden, um einen besseren Verkehrsstrom zu erzeugen. Entwickelt und vorgeschlagen wurden diese Empfehlungen vom Verkehrsplanungsbüro R+T aus Darmstadt, dass den bisherigen Prozess begleitet und die Konzeption des Versuchs fachlich vorangetrieben hat.
Ein mögliches Parkleitsystem soll ebenfalls während des Verkehrsversuchs installiert werden. Und ehe eine endgültige Entscheidung getroffen wird, die auch Umbaumaßnahmen an den Verkehrsknotenpunkten wie dem Kreisverkehr „Bullinger Eck“ notwendig machen würde, hat der Gemeinderat das letzte Wort.

Es ist lediglich ein Versuch
In den vergangenen Monaten war viel darüber diskutiert worden, ob die geplanten Maßnahmen überhaupt erfolgsversprechend sind. „Genau deshalb machen wir diesen Versuch. Mit ihm überprüfen wir die Chancen und Risiken unter realistischen Bedingungen“, betont Steuler. „Niemand spricht heute schon von einer endgültigen Sperrung.“ Möglicherweise würden sich durch den Versuch auch neue Lösungsansätze eröffnen, die heute noch niemand erkannt habe.
Ob der Versuch überhaupt zustande kommt, entscheidet der Gemeinderat. Jörg Steuler macht deutlich, dass es für ihn nur eine Lösung geben kann: „Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, zu handeln und die Gestaltung der Innenstadt selbst in die Hand zu nehmen. Oder wir belassen es so wie es ist, aber dann können wir uns später auch nicht beschweren, wenn unser städtisches Zentrum noch verlassener und unattraktiver erscheint, als es heute vielleicht schon der Fall ist.“ Jede Entscheidung habe ihre Folgen und Konsequenzen. Aus Sicht der Verwaltung sei jedoch klar, dass die Beibehaltung des heutigen Zustandes die schlechteste aller Möglichkeiten sei.
 

(Erstellt am 19. Oktober 2022)