Burgbergstraße

Tür an Tür mit der Hoffnungslosigkeit

In der Burgbergstraße 59 wohnen zum Großteil Obdachlose und Asylbewerber. Viele leben dort schon seit Jahren.

Die Siedlung um die Burgbergstraße in Crailsheim ist in ständigem Wandel und das seit ihrer Entstehung. Im Stadtblatt berichten wir bis zur Sommerpause über die "Burgbergsiedlung" im Fliegerhorst, ihre Menschen, ihre Geschichte, die Gegenwart und Zukunft, sowohl gesellschaftlich als auch baulich. So ist die Burgbergstraße ein Ort, den viele Flüchtlinge ihre vorläufige Heimat nennen. In sieben Häusern sind derzeit rund 70 Geflüchtete untergebracht. Integrationsbeauftragte Kamilla Schubart gewährt einen Einblick in das Leben dort.

Hier in der Burgberg. Hier in der Burgberg, da halten die Menschen zusammen. Hier in der Burgberg, da kennt man sich, da wird zusammen geredet, gespielt und gegessen. Hier in der Burgberg, da ist für viele Endstation. Da wird geraucht, getrunken und geprügelt. Da wohnen diejenigen, die nirgends richtig zuhause sind. Die keine Aussicht mehr haben.

„Hello, Kamilla!“ Die rauchige Stimme gehört Buba aus Guinea. Vor dem Eingang der Burgbergstraße mit der Hausnummer 59 stehen ein paar Sofas. Die Menschen halten sich hier auf, sind unter sich, rauchen, trinken. Die pure Anarchie, wie Kamilla Schubart, Integrationsbeauftragte der Stadt Crailsheim, es nennt. Buba kommt von der benachbarten Wiese angelaufen. Auch hier steht eine Sitzgruppe, auch hier feiern und trinken die Bewohner, nur wenige Meter vom benachbarten Spielplatz entfernt. Es läuft Musik, und was auf den ersten Blick vielleicht sogar ganz entspannt aussehen mag, birgt bei näherem Hinsehen einiges an Potenzial für Streits, Auseinandersetzungen und Gewalt. „Gewalt und Alkohol ist nur im Haus 59 ein Thema, in den anderen Häusern ist alles friedlich“, sagt Schubart.

Sie läuft direkt auf die Männer zu. Unbewusst richtet sie ihren Oberkörper dabei etwas auf, ihre Körpersprache ist bestimmt, die Stimme klar und deutlich. Sie lächelt. „Na, hast du deine Dinge geregelt?“, fragt sie Buba. Er grinst. Selbstbewusst versucht er, sich zu erklären, und doch sieht er etwas verlegen aus. Seit acht Jahren wohnt der junge Mann in Deutschland, hat keine Papiere, kann nichts nachweisen. Er kommt nicht vor und nicht zurück. Kümmert sich nicht.

In den Gemeinschaftsküchen wird regelmäßig zusammen gekocht und gegessen.

Die 59: Alkohol und Arbeitslosigkeit
So geht es vielen hier. In die Burgbergstraße 59 ziehen die Menschen, wenn sie einen Gefängnisaufenthalt hinter sich haben, nach Räumungsklagen oder wenn sie von Partner oder Eltern hinausgeworfen wurden. Die Härtefälle unter den Obdachlosen, so Schubart, manche mit, manche ohne Arbeitserlaubnis. Und – zu einem geringen Anteil – eben auch Asylbewerber, deren Status ungeklärt ist, die nicht vorankommen. Wer das Gebäude betritt, kann verstehen, warum sich die Bewohner die meiste Zeit über draußen aufhalten. Nackte, kahle Betonwände, grelle Lichter an der Decke des Flures und ein Boden, der aussieht, als hätte er seit Jahren keinen Besen, geschweige denn einen Wischmopp gesehen. Die Hoffnungslosigkeit ist mit roter Farbe an die Wand gemalt: Burgberg 59 steht da, mit Strichen, die ins Nirgendwo verlaufen. Daneben eine Frau, die mit angezogenen Knien auf dem Boden sitzt und raucht, keine zwei Meter vom Rauchmelder entfernt. Sie scheint ihre Gäste gar nicht zu bemerken. „Wissen Sie, viele hier sind Vollzeitalkoholiker. Es ist sehr selten, dass jemand auszieht. Die meisten, die hier sind, kenne ich seit ich 2018 angefangen habe“, sagt Schubart und läuft weiter. Bei jedem Schritt kleben die Füße kurz am Boden fest. Nächster Halt: Gemeinschaftsküche. Beim Anblick des dreckigen Geschirrs, des ungeputzten Backofens und des herumliegenden Mülls dürfte wohl kaum jemand Hunger bekommen. Schubart lacht. „Das täuscht. Hier wird regelmäßig gekocht und gegessen. Für die Sauberkeit sind die Bewohner selbst zuständig.“ Gleiches Bild bei den Toiletten: verschmutzt, alt, heruntergekommen. Eigentlich undenkbar, über Jahre hinweg dort zu leben. Dazu die regelmäßigen Polizeieinsätze, wenn der Alkohol wieder einmal in Gewalt übergeht. Ein Kreislauf, der schwer zu durchbrechen ist.

Die Burgbergstraße lebt von der Gegensätzlichkeit: Auf der einen Seite die spielenden Kinder und Familien, auf der anderen Seite die Asylbewerber, die keine Chance auf dem Wohnungsmarkt haben.

Die grüne Wiese für alle
Kinderlachen. Die Sonne scheint, und auf der großen Wiese vor dem Gebäude der Burgbergstraße 61 tummeln sich Familien, Bewohner, Besucher und Ehrenamtliche. Es gibt verschiedene Spielstationen, hier und da werden Picknickdecken ausgebreitet. Gemeinsam mit dem Burgberg-Arbeitskreis und dem Verein Tamieh wird hier jeden Dienstagnachmittag die „Spielwelt Fliegerhorst“ organisiert – ein Multikulti-Angebot, das in dieser Form einzigartig in Crailsheim ist. Und eines, das im krassen Gegensatz zur Situation steht, die sich nur wenige Minuten zuvor gezeigt hat. „Diese Gegensätzlichkeit, die ist es, die die Burgberg ausmacht. Hier die Mutti mit Kind, da der Hardcore-Alkoholiker und dort der Asylbewerber ohne eine Chance auf dem Wohnungsmarkt“, sagt Schubart.
Für die Burgbergstraße 61 ist die Christusgemeinde zuständig, der Arbeitskreis zahlt keine Miete, sondern nur die Nebenkosten. Ehrenamtliche bieten einmal die Woche ein Mittagessen und Kaffee und Kuchen an, einmal im Monat gibt es eine Altkleidersammlung. „Die Zusammenarbeit zwischen den Hauptamtlichen und den Ehrenamtlichen, die hier tätig sind, ist sehr eng“, so Schubart. So haben die Integrationsmanagerinnen ihr Büro in den Räumen der Burgbergstraße 35 und 36, und neben dem Verein Tamieh und dem Arbeitskreis Burgberg ist auch die Erlacher Höhe mit ihrer Sozialarbeit und der Freundeskreis Asyl hier aktiv. Letzterer bietet Nachhilfe oder individuelle Betreuung an – manchmal auch einfach nur, um Kontakt zu den Menschen zu halten. Für die Bewohner sind sie die Brücken nach „draußen“. „Die Ehrenamtlichen sind oft die wenigen Menschen außerhalb der Burgberg, die die Bewohner gut kennen. Sie sind eine Stütze für viele und bieten Stabilität. Der Austausch und Kontakt sind in so einem Ballungsraum sehr wichtig für die Bewohner, denn dadurch erhalten sie Hilfe, Informationen und vielleicht auch ein bisschen das Gefühl, nicht vom Rest der Gesellschaft ausgegrenzt zu sein.“ Kamilla Schubart blickt nachdenklich auf die Gebäude. Sie kennt die Burgbergsiedlung schon lange, hat sie doch selbst einen Migrationshintergrund und war als Kind ab und an hier, als ihre Eltern Freunde und Bekannte besucht, ihnen Essen gebracht oder im Alltag geholfen haben.

Ein typisches Bild der Burgbergsiedlung: Fahrräder und Einkaufswagen.

Zehn Quadratmeter pro Person
Ein bisschen wie eine in die Jahre gekommene Jugendherberge muten sie an, die Gebäude 63 und 65. Kasernencharakter. Türe links, Türe rechts. Türe links, Türe rechts. Ein langer Flur. Aber es ist sauber, und – auf den ersten Blick – ordentlich. „Das sind auch alles Wohnungen hier. In den städtischen Gebäuden der Burgbergstraße leben etwa 180 Personen, davon sind etwa die Hälfte Geflüchtete, die uns vom Landkreis für die Anschlussunterbringung zugewiesen wurden“, sagt Schubart. Wie viel Platz den Bewohnern zur Verfügung steht? „Wir rechnen mit rund zehn Quadratmetern pro Person. Und das ist noch viel, andere Kommunen setzen da sieben an“, so Schubart.
„Hey, Schätzchen, hallo!“ Ein älterer Mann kommt im Hof vor der Eingangstüre auf die Integrationsbeauftragte zu. Schubart muss lachen. Sie kennt den Mann, begrüßt ihn herzlich. Er wohnt in der Burgbergstraße 63. „Weißt du, die Familie, die da oben gewohnt hat, die haben noch immer einen Schlüssel. Da muss was gemacht werden.“ Es vergehen keine fünf Minuten, in denen nicht jemand mit einem Anliegen an Schubart herantritt. Die Bewohner kennen sie, vertrauen ihr. Netzwerken, Zuhören, all das gehört zu ihrer Arbeit. „Ich schlendere oft hier durch und höre mir die Probleme an. Überwiegend, um bei kulturellen Konflikten entgegenwirken zu können. Ich setze mich auch abends mal mit dazu, trinke einen Kaffee, gebe Tipps und Ratschläge, lese Behördenbriefe durch oder kann Anlaufstellen bei gewissen Problemen benennen“, sagt sie. Irgendwie gehört sie wohl dazu, zur Burgberg. Und doch kann sie am Ende des Tages nach Hause gehen und abschalten, kann Berufliches von Privatem trennen. „Die Probleme, die hier herrschen, bleiben hier. Die nehme ich nicht mit nach Hause.“

Ein typisches Bild der Burgbergsiedlung: Fahrräder und Einkaufswagen.

Wie ganz normale Wohnungen
Anatolii besteht darauf, zum Kaffee einzuladen. Mit Händen und Füßen und Bruchstücken der russischen Sprache wird sich verständigt und klar gemacht, dass dieses Mal für Kaffee keine Zeit bleibt. Anatolii wohnt angrenzend an die Burgbergstraße in der Friedrich-Heyking-Straße, in den vorläufigen Unterkünften des Landkreises. „Viele kommen nach spätestens zwei Jahren direkt von dort zu uns in die Burgberg“, erzählt Schubart. Auch hier spielt sich das Leben draußen ab. Viele Bewohner halten sich im Freien auf, fahren Fahrrad, sitzen zusammen. Was auffällt, sind die Einkaufswagen: Überall stehen sie und scheinen darauf zu warten, benutzt zu werden.
Das rötliche Gebäude auf der anderen Straßenseite trägt die Hausnummer 67. Eine Gemeinschaftsunterkunft über drei Etagen, unten das Büro des Freundeskreises Asyl und die EUTB, eine Anlaufstelle für Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung. „Kamilla, der Trockner ist kaputt.“ Der junge Mann im Flur des Erdgeschosses schaut sie fragend an. Schubart verspricht, sich zu kümmern, es weiterzugeben. In den Wohnungen leben Deutsche und Asylbewerber, zumeist aus afrikanischen oder arabischen Ländern, und teilweise schon seit vier, fünf Jahren. Fast alle arbeiten, zahlen Benutzungsgebühren – „im Prinzip wie in anderen, ganz normalen Wohnungen auch“, so Schubart. Bei der Belegung der Zimmer wird nach Möglichkeit darauf geachtet, dass die Kultur- und Sprachkreise zusammenpassen, wobei eine gewisse Durchmischung nicht vermieden werden kann. Dennoch ist es ihr wichtig zu betonen, wie gut die unterschiedlichen Kulturen hier in der Burgbergstraße zusammenleben. „Man muss einfach eine gewisse Akzeptanz haben für Suchtkranke, psychische Probleme, andere Nationalitäten, enge Wohnverhältnisse und wenig Privatsphäre. Ich finde, dass das wirklich gut klappt.“ Sie schließt die Türe hinter sich.
Hier in der Burgberg, da wohnt die Hoffnungslosigkeit Tür an Tür mit Menschen, die ebendiese Hoffnung noch haben. Hoffnung auf eine Zukunft, auf ein besseres Leben, auf ein Ankommen. Hier in der Burgberg, da kennt man sich, da wird geredet, gelacht und miteinander gelebt. Da entstehen Konflikte, Gewalt und schier unlösbare Probleme. Ein Viertel, das bunt und einzigartig ist und vor allem eines: voller Gegensätze.

Info: Zur Burgbergstraße gehören insgesamt sieben Gebäude mit den Hausnummern 35, 36, 39, 59, 63, 65 und 67, wobei die Nummer 39 aufgrund des Brandes im Dachstuhl derzeit nicht bewohnbar ist. Etwa 180 Personen sind in den Gebäuden der Burgbergstraße untergebracht. Davon ist etwa die Hälfte der Obdachlosigkeit zuzuordnen, die andere Hälfte wurde im Rahmen der Anschlussunterbringung zugewiesen.
Kamilla Schubart als Integrationsbeauftragte der Stadt ist für die Koordination der Aktivitäten im Bereich der Integration zuständig. Sie ist im Austausch mit den Ehrenamtlichen, organisiert Veranstaltungen, baut Netzwerke auf und ist Ansprechpartnerin für Bürger, Vereine und Organisationen. Darüber hinaus sind drei der vier städtischen Integrationsmanagerinnen ebenfalls für die Burgbergstraße zuständig. Das Areal rund um die Burgbergstraße wird gerne "Burgbergsiedlung" genannt. Die liegt allerdings offiziell im Teilort Jagstheim und hat mit der Straße im Fliegerhorst nur die beiden ersten Silben gemeinsam.

(Erstellt am 07. Juli 2023)